In Ihrer beruflichen Tätigkeit beschäftigen Sie sich schon länger sehr intensiv mit den Bedingungen guter Mitarbeiterführung. Wie sind Sie darauf gekommen, das Thema am Beispiel von Fußballtrainern zu vermitteln?
Matthias Dederichs: Das ist bei mir eigentlich leicht erklärbar. Als Dortmunder, der nur 10 Minuten entfernt vom Signal Iduna Park, der Spielstätte von Borussia Dortmund 09, wohnt, hatte ich Gelegenheit, die Erfolge des Vereins insbesondere unter Trainer Jürgen Klopp sozusagen hautnah mitzuerleben und sein Verhalten intensiv zu studieren.
Wollen Sie uns verraten, was Sie an Jürgen Klopp beobachten konnten – oder ist das ein Geheimnis?
Matthias Dederichs (lacht): Nein, das ist eigentlich kein Geheimnis, denn mit Wissen über Führung und einem veränderten Hinhören und Beobachten von Jürgen Klopps Verhalten kann jeder beobachten, wie top ausgebildet er im Bereich Führung ist und wie geschickt er sein Wissen praktisch anwendet. Dieser Aspekt taucht im Boulevardbereich oder Sportteil nicht auf. Er wird eher oberflächlich als eloquent, schlagfertig oder sympathisch und als „Sprücheklopfer“ gesehen mit einem Charisma, das man eben hat oder auch nicht.
Ist er denn Ihrer Meinung nach nicht charismatisch?
Natürlich ist er das, aber eben auch noch viel mehr.
Können Sie bitte ein Beispiel geben, was Sie mit „mehr“ meinen?
Gerne. Wer sich schon einmal mit Mitarbeiterführung beschäftigt hat, dem sind die typischen Führungsthemen wie Zielvereinbarung, Fehlerkultur, Wertschätzung, Vertrauen, Kommunikation etc. sicher bekannt. Als Beispiel für Jürgen Klopps Prägung einer Fehlerkultur zitiere ich gerne eine Begebenheit, die sich während eines Champions-League-Spiels gegen den SSC Neapel zugetragen hat: Als in der 1. Halbzeit ein Dortmunder Spieler in Klopps Nähe grob gefoult wurde, forderte Klopp vom Schiedsrichter wüst eine gelbe Karte und legte sich obendrein mit dem neben ihm stehenden Linienrichter an. Dabei setzte er seine manchmal unbeherrscht gezeigte, bekannte Wutgrimasse auf. Dieses Verhalten quittierte der Schiedsrichter mit einer roten Karte, und Klopp musste das Spiel fortan an einem kleinen Fernseher im Büro des Stadionhausmeisters weiter verfolgen. Am nächsten Tag wurde er bei der Pressekonferenz von einem Journalisten mit seinem Grimassengesicht auf der Titelseite einer italienischen Tageszeitung konfrontiert, was ihm sichtlich peinlich war.
Ich sehe noch nicht ganz, was das mit Fehlerkultur zu tun hat …
Sehen Sie, es ist nicht ganz abwegig, dass der Journalist eine unbeherrschte, emotionale Reaktion von Klopp bewirken wollte, etwa, dass er sich solche Fragen verbitte, dass es ja wohl verständlich sei, dass er in einem emotional aufgeheizten Stadion wie dem in Neapel die Beherrschung verliere, dass er seine Spieler schützen müsse usw. – dass man also die Umstände verantwortlich macht für sein eigenes Fehlverhalten. In der Psychologie spricht man dann von der „Opferrolle“, was ausdrücken soll, dass man sich nicht anders verhalten kann, weil die Umstände es nicht erlauben. Klopp sagte hingegen (frei zitiert): „Ich habe das Foto auch schon gesehen und mich erschrocken. So will ich nicht sein. Ich muss an mir arbeiten.“ Eine wunderbare Antwort, die als generelles Verhalten und immer praktiziert eine bestimmte Fehlerkultur prägt.
Was genau meinen Sie?
Hintergründig drückt Klopp damit aus: Seht her, auch ich bin nicht perfekt, Fehler sind also erlaubt. Ich schaue mir meine Fehler an, lerne daraus, gehe aktiv in meine Weiterentwicklung und gebe nicht den Umständen die Schuld. Klopps Spieler registrieren dieses Verhalten unterbewusst und leiten es für sich ab: Ich darf etwas probieren, mich entwickeln, und niemand reißt mir den Kopf ab. Eigentlich genau eine der Grundvoraussetzungen für Spaß am Lernen. Das Besondere ist hier, dass dieses Wissen eben nicht (nur) theoretisch erklärt, sondern in einer Weise von Klopp praktiziert wird, dass die Botschaft quasi unterbewusst in die Köpfe der Spieler huscht.
Und das ist also sein Erfolgsrezept.
Es ist ein Teil seines Erfolgsrezepts. Es gibt natürlich noch weitere Aspekte in seinem Führungsrepertoire, die man nennen müsste. Wer ihm häufiger zuhört, stellt zum Beispiel fest, dass er seinen Spielern den Spaß am Spiel vermitteln möchte. Dahinter steckt die Idee, den Leistungsdruck zu nehmen, einen bestimmten Erfolg erzielen zu müssen – wie zum Beispiel das anstehende Spiel zu gewinnen. Die Mannschaft soll besser geistig unverkrampft und frei jedes Spiel mit Spaß bestreiten. Dann stellt sich der Erfolg mittelfristig von alleine ein. Daher stammt auch seine geschickte Rhetorik wie „Vollgasfußball“. „Wir sind nicht gierig auf das Erzwingen von Titeln und Siegen. Wir sind gierig auf die 90 Minuten“, hat er oft gesagt. Dass das ankam, sah man an Mats Hummels, der damals sagte: „Wir stehen oft schon Minuten vor dem Anpfiff in der Kabine und kicken mit dem Mülleimer, weil wir Bock auf Kicken haben.“
Ich verstehe, interessant. Und Ihre These ist, dass das alle lernen können, wenn sie lange genug Klopp studieren.
Sicherlich ist Jürgen Klopp ein Phänomen, das man nicht ohne Weiteres kopieren kann – und übrigens auch nicht sollte. Die Authentizität spielt ebenfalls eine große Rolle, und bekanntlich ist die Kopie immer schlechter als das Original. Aktuelle Erfolge von Sebastian Hoeneß mit der TSG Hoffenheim und allen voran natürlich Xabi Alonso mit Bayer 04 Leverkusen, die ähnlich, aber auf ihre Weise die modernen Führungspraktiken anwenden, zeigen, dass Klopp weder der Einzige ist noch kopiert werden muss.
Das Learning für den Einzelnen, der seine Führung in seinem Arbeitsumfeld abseits der Fußballbranche optimieren möchte, sollte sein, wie man am Beispiel von Jürgen Klopp und anderen Fußballvorbildern lernen kann, angesammeltes akademisches Wissen ganz praktisch zur Formung seines eigenen Spitzenteams zu nutzen. Denn das ist nach meiner Erfahrung die größte Hürde für viele Führungskräfte, die im Wortsinn kein Bild vor Augen haben, wie der Transfer in die Praxis aussehen soll.
Wer mehr solche anschaulichen Vorbilder sucht, entscheidet sich für einen Seminartag mit uns im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund, wo wir am Beispiel der vier deutschen Weltmeistermannschaften zeigen, wie jeweils aus einer Sammlung hoch veranlagter Einzelkicker Weltmeistermannschaften geformt wurden. Parallelen zu Jürgen Klopp zu erkennen, ist gewünscht und unterstützt ebenfalls den Transfer in die eigene Führungswelt.