Hast du für uns Praxisbeispiele zur psychologischen Sicherheit im Führungsalltag?
Olaf Heinz: Psychologische Sicherheit ist aktuell in aller Munde und bekommt, wie ich finde, endlich die Beachtung, die es verdient. Was für viele selbstverständlich klingt, ist in Wahrheit aber oft auch ganz anders. Erst letzte Woche sprach ich mit einer Führungskraft über ihre Erfahrungen bei der Umsetzung. Nach einer Mitarbeitenden-Befragung wurde das Thema in ihrem Unternehmen aufgenommen und sie war sofort begeistert. „Das ist es, was wir hier brauchen“, klingt bei mir noch im Ohr aus einem Telefonat im Oktober letzten Jahres. „Jedes Teammitglied sollte sich sicher fühlen, Ideen, Fragen oder Bedenken zu äußern, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben. Sie sagte, ihr gehe es darum, eine Umgebung zu schaffen, in der Offenheit und Ehrlichkeit gefördert werden.“
Die Mehrwerte für das Unternehmen sollten ebenso immens sein. Teams mit hoher psychologischer Sicherheit sind oft innovativer und produktiver. Sie tendieren dazu, schneller auf Veränderungen zu reagieren und können effektiver zusammenarbeiten, da die Angst vor Fehlern minimiert wird. Das führt nicht nur zu besseren Arbeitsergebnissen, sondern stärkt auch das Vertrauen und die Mitarbeiterbindung. „Das wollen doch alle“ klang es damals im Oktober.
Der Oktober ist lange her. Wie ist es angelaufen?
Es kam zunächst anders…
Als sie anfing das Konzept der psychologischen Sicherheit innerhalb ihres Teams zu etablieren, stieß sie auf erheblichen Widerstand. Trotz der offensichtlichen Vorteile, die dieses Konzept für die Arbeitsatmosphäre und die Teamleistung versprach. Die Anfangsphase war geprägt von Misstrauen und Skepsis. Viele Teammitglieder empfanden die plötzliche Betonung auf Offenheit und Fehlertoleranz als eine abrupte Abkehr von der gewohnten Arbeitsweise, die primär ergebnisorientiert war. Die Umstellung führte zu Unbehagen, da Fehler zuvor oft mit negativen Konsequenzen verbunden waren.
Sie organisierte Workshops und regelmäßige Meetings, in denen sie die Prinzipien psychologischer Sicherheit erläuterte: Die Freiheit, Fragen zu stellen, Bedenken zu äußern und Ideen frei zu kommunizieren, ohne Angst vor Lächerlichkeit oder Bestrafung zu haben. Trotz dieser Bemühungen waren die Ergebnisse ernüchternd. Ihr Team zögerte, sich zu öffnen, und einige Mitarbeitende nutzten die Gelegenheiten, um persönliche Differenzen auszutragen, was das Ziel der Übungen untergrub und damit viele Mitarbeitende auch den Zeitinvest in das Thema als Verschwendung ansehen ließ.
Das hört sich ja schon fast nach Eskalation an.
Manchmal tut ein reinigendes Gewitter gut. Ihr Schlüsselmoment war eine Teamsitzung, in der die Spannungen überkochten. Ein langjähriger Mitarbeiter, der sich durch die neuen Veränderungen bedroht fühlte, konfrontierte sie offen. Er argumentierte, dass dieses "neue Konzept" nur eine Modeerscheinung sei und echte Arbeit durch endlose Diskussionen ersetzt werde. Die Diskussion eskalierte unter den Mitarbeitenden tatsächlich, und es wurde klar, dass einige Teammitglieder Angst hatten, ihre gewohnte Arbeitsweise und damit verbundene Sicherheiten zu verlieren.
Diese Erfahrung war ein Wendepunkt für sie. Wir hatten uns zusammengesetzt und die Situation, und wie es dazu kam intensiv reflektiert. Sie erkannte, dass der Weg zur psychologischen Sicherheit nicht durch einmalige Aktionen erreicht werden kann, sondern durch eine schrittweise Anpassung der Kultur in ihrem Team. Es wurde ihr bewusst, dass sie als Führungskraft mehr tun musste, um eine vertrauensvolle Basis zu schaffen. Jeder Mitarbeitende hat seine eigene Vergangenheit und durch die eigenen Erlebnisse auch eigene Strategien für den persönlichen Erfolg entwickelt. Und in einer Kultur, wo vielleicht Fehler eher sehr negativ gesehen werden, kann eine Erfolgsstrategie dann sein, lieber nicht so offen zu kommunizieren.
Und jetzt?
In unserem Telefonat letzte Woche berichtete sie mir von Mitarbeitenden, die mit sehr viel mehr Freude an der Arbeit sind. Seit der Zeit wurden 5 Anpassungen an wichtigen Prozessen vorgenommen und damit signifikant an Zeitersparnis gewonnen. Die Anwesenheits- und Homeofficezeiten, Urlaubsvertretungen und ähnliche Organisationen macht das Team nun alleine und übernimmt immer mehr Verantwortung.
Im Leadership-Coaching haben wir gemeinsam verschiedene Strategien erarbeitet. Es waren für sie 5 Faktoren die den Erfolg am Ende sicherstellten:
- Erwartungsmanagement: Mit dem Golden Circle allen Mitarbeitenden hinsichtlich WHY, HOW, WHAT Guidance zu geben und eine klare Erwartungshaltung als Führungskraft zu formulieren.
- Ernst nehmen und kleinste Erfolge sichtbar machen: In regelmäßigen Einzelgesprächen auch das persönliche Empfinden (z.B. persönlichen Ängste und Bedenken) und Erleben in der neuen Kultur zu reflektieren und insbesondere die entstandenen Mehrwerte transparent zu machen.
- Kontinuität: Weiterhin auch in der Gruppe immer wieder einzelne Beispiele für psychologische Sicherheit zu reflektieren und Optimierungen daraus in konkrete Umsetzungen zu bringen. Hier hat ihr die Retrospektive als Instrument sehr geholfen, um die persönlichen Ängste und Bedenken der Teammitglieder besser zu verstehen und auf sie einzugehen.
- Vorbild sein in der Kommunikation, Transparenz und vor allem Berechenbarkeit.
- Den eigenen Führungsstil immer wieder zu challengen.
Was sie sich eingerahmt hat, ist ein Post-It mit einer Aussage eines Mitarbeitenden, der zu Anfang zu den größten Widersachern gehörte. „Danke, dass Du durchgehalten und mich mitgenommen hast.“
Die Implementierung psychologischer Sicherheit ist eben eine fortlaufende Herausforderung, die Geduld, Empathie und Ausdauer erfordert. Es ist ein Prozess, der nicht nur die Transformation des Teams, sondern auch die eigene Transformation als Führungskraft umfasst.