Welchen Herausforderungen müssen sich öffentliche Verwaltungen stellen?
Katja Thillmann: Im Grunde unterscheiden sich die Herausforderungen der öffentlichen Verwaltungen gar nicht so sehr von denen privatwirtschaftlicher Unternehmen, aber die Rahmenbedingungen sind zum Teil andere. Im Gegensatz zu Unternehmen der freien Wirtschaft ist das Ziel von öffentlichen Verwaltungen nicht der Profit, sondern die Gewährleistung von Stabilität und Verlässlichkeit. Hierbei ist die bürokratische Organisation mit ihren zentralen Koordinationsmechanismen Standardisierung und Weisung äußert effektiv. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Vor dem Hintergrund immer komplexerer Anforderungen unserer Zeit heißt es auf der anderen Seite, zunehmend flexibel zu reagieren, Verantwortung abzugeben und Mitarbeitenden unterstützend zur Seite zu stehen. Das ist für viele Führungskräfte der öffentlichen Verwaltung ein großer Kulturwandel.
Wie nehmen Sie die aktuelle Situation in öffentlichen Verwaltungen wahr?
Ich beobachte in öffentlichen Verwaltungen – wie übrigens in vielen privatwirtschaftlichen Unternehmen auch – nach wie vor ein ausgeprägtes Silodenken. Das ist allerdings wenig erstaunlich, denn die öffentliche Verwaltung ist per se durch Arbeitsteilung und entsprechende Zuständigkeiten definiert. Für jede Aufgabe gibt es eine zuständige Behörde, innerhalb derer eine jeweilige Abteilung bis hin zu einem bestimmten Sachgebiet zuständig ist. Doch komplexe Anforderungen machen neue, cross-funktionale Formen der Zusammenarbeit erforderlich. Das stellt Führungskräfte vor neue Herausforderungen und macht ein echtes Umdenken notwendig. Oft erlebe ich auch, dass Führung noch sehr im traditionellen Sinne verstanden wird. So verweisen Führungskräfte, die ich in Trainings oder Coachings begleite, häufig auf fehlende Führungsinstrumente wie finanzielle Anreize oder Sanktionsmöglichkeiten.
Wie kann Leadership Development Führungskräften dabei helfen, diese Herausforderungen gut zu bewerkstelligen?
In erster Linie bedeutet es für mich als Coach und Trainerin Mindset-Arbeit. Es geht darum, in öffentlichen Verwaltungen ein modernes Führungsverständnis zu entwickeln und Nachwuchsführungskräfte gezielt auf ihre neue Rolle vorzubereiten. Im Vordergrund stehen dabei die Fähigkeiten, die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden durch richtige Rahmenbedingungen zu stärken, ihnen Orientierung zu geben und sie in ihrer Entwicklung zu begleiten. Neben Kompetenzen zur Mitarbeiterführung gilt es auch, die Fähigkeiten zur Selbstführung und Selbstfürsorge zu stärken. Zudem gewinnen teambezogene Themen wie Selbststeuerung, Fehlerkultur oder psychologische Sicherheit immer mehr an Bedeutung.
Wie kann der Erfolg von Leadership-Development-Maßnahmen sichergestellt werden?
Leadership Development sollte sich nicht auf Maßnahmen zur individuellen Entwicklung von Führungskräften beschränken. Es sollte auch darum gehen, Führungsteams zu stärken (z. B. durch Teamcoaching oder kollegiale Beratung) und so die horizontale Zusammenarbeit zu fördern sowie Silodenken entgegenzuwirken. Außerdem darf man nicht vergessen, dass Führungskräfte immer nur so gut führen können, wie es die organisationalen Bedingungen erlauben. Führungskräfteentwicklung sollte daher immer auch Hand in Hand gehen mit den erforderlichen Maßnahmen zur Organisationsentwicklung.
Sind öffentliche Verwaltungen beim Thema Führung auf einem guten Weg?
Wie jede Form des Kulturwandels ist auch Leadership Development ein kontinuierlicher und langwieriger Prozess. Umso wichtiger sind Entschlossenheit, Mut und Offenheit für Neues sowie viel Ausdauer bei der Umsetzung. Doch der Handlungsbedarf und auch die damit verbundenen Chancen werden in den öffentlichen Verwaltungen klar erkannt und vielerorts beherzt angegangen.
